Martin Luther – Thüringer, Sachse oder gar Franke?
Ketzerische Gedanken und Betrachtungsweisen zum Reformationsjubiläum
– von Martin Truckenbrodt –
Als Martin Luther geboren wurde, war die Landgrafschaft Thüringen schon einige Zeit Geschichte. Bereits seit 1247 gab es kein eigenständiges Thüringen mehr. Im Freistaat Thüringen wird Martin Luther trotzdem als Thüringer bezeichnet. Ein Blick zurück zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, ihm eine Identität zuzuschreiben.
Martin Luther war für die römisch-katholische Kirche ein Ketzer gewesen. Er war einer der bedeutendsten Kirchenreformatoren des Mittelalters am Übergang zur Neuzeit. Er war ein sehr bedeutender Revolutionär und hat letztendlich auch zu Reformen in der römisch-katholischen Kirche beigetragen.
Auf Grund der Tatsache, dass er das von Menschenhand geschriebene Wort der Bibel doch schon extrem wörtlich nahm, würde man ihn heute wahrscheinlich als religiösen Fanatiker bezeichnen, wie man dies bei Anhängern des Kreationismus und des Intelligent Design, also den Gegnern der Evolutionstheorie, meist tut. Auch sein im Laufe der Zeit zunehmender Groll auf die Juden, weil diese ihren und seinen Messias nicht anerkennen wollten, wird gerne vorschnell als anti-semitische Haltung und damit als Fanatismus interpretiert.
Martin Luther war auf jeden Fall nach seinem Selbstverständnis ein Deutscher gewesen. Er war einer der Ersten, die sehr häufig und deutlich vom Deutschen Volk schrieben. Somit war er im Sinne der Förderung des deutschen Einheitsgedankens also auch ein Nationalist. So musste er später allerdings oft auch für die Propaganda extremer Nationalisten herhalten.
Martin Luther war einer der Ersten, die den weltlichen Landesherren als kirchliches Oberhaupt einer evangelischen Landeskirche akzeptierten. Z.B. seinen Umschwung bzgl. seiner Haltung zu den Bauernaufständen könnte man auch in diesem Zusammenhang sehen. War er ein ergebener Diener seines Landesherren, seines Mäzen? Er war auf jeden Fall, aus seinem Selbstverständnis heraus, ein ergebener und unterwürfiger Diener Gottes!
Martin Luther wurde am 10.November 1483 in Eisleben in der Grafschaft Mansfeld geboren, wo er auch starb. Also ist er ein gebürtiger Eislebener und Mansfelder gewesen.
Eisleben liegt heute in Sachsen-Anhalt. Also wäre er entsprechend der aktuellen Landespolitik des Freistaats heute ein Sachsen-Anhaltiner.
Eisleben liegt im Kernsiedlungsraum der Thüringer, im Kerngebiet des kurzlebigen Königreichs der Thüringer und im daraus entstandenen thüringisch-obersächsischen Sprach- und Kulturraum. Deshalb war Martin Luther auch ein Thüringer. Er selbst stellte jedoch angeblich auf seinem Gang 1521 nach Worms klar, er sei kein Thüringer, sondern ein harter Sachse. Setzt man unter genauer historischer Betrachtung Thüringen und Obersachsen als Synonyme gleich, erkennt man hier eine gewisse Haarspalterei und stellt fest: Die Leipziger Teilung von 1485 hat wohl schon damals einen sehr tiefen Graben gerissen, wo eigentlich gar keiner ist.
Die Familie seiner Mutter stammt aus Bad Neustadt an der Saale und zog aus wirtschaftlichen Gründen nach Eisenach um. Seine Mutter, noch im heutigen Unterfranken geboren, gehörte also in Kursachsen der zweiten Generation fränkischer Wirtschaftsimmigranten an. Martin Luthers Vater stammt aus Möhra. Möhra gehörte damals zum Amt Salzungen, welches von den fränkischen Grafen von Henneberg und deren Nebenlinie der Herren von Frankenstein eingerichtet wurde, als Teil der fränkischen Gefürsteten Grafschaft Henneberg von 1500 bis 1806 zum Fränkischen Reichskreis gehörte und zur Zeit der Reformation gemeinsam von den Henneberger Grafen und den Wettinern regiert wurde. Das Gebiet liegt im Süden des historischen Ringgau, wo historisch, sprachlich und kulturell Thüringen, Franken und Hessen aufeinander treffen. Die Familie Luther soll angeblich aus dem nicht weit von Möhra entfernten, stark fränkisch geprägten Fuldaer Becken, dem heutigen Osthessen, stammen. Unter dem Strich betrachtet ist es also durchaus legitim zu behaupten, Martin Luther hatte nennenswerte fränkische Wurzeln.
Ist Martin Luther also ein Deutscher, ein Sachsen-Anhaltiner, ein in Eisleben geborener Mansfelder und ein zeitweise im kursächsischen Wittenberg und im kurmainzischen Erfurt beheimateter Thüringer mit fränkischem Migrationshintergrund gewesen?
Das klingt erstmal sehr ungewöhnlich, aber irgendwie auch zumindest ein bisschen logisch.
Welche Rolle spielte eigentlich Franken bei der Reformation?
Ehrlich gesagt, keine allzu große Rolle. Oder doch? Jedenfalls kann man Folgendes feststellen:
Nürnberg war damals die größte und bedeutendste Stadt im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die Buchdrucker in Nürnberg waren maßgeblich an der Verbreitung von Martin Luthers Schriften beteiligt. 1532 wurde in Nürnberg der Nürnberger Religionsfrieden beschlossen, der eine erste, wenn auch leider nicht dauerhafte, Basis für ein friedliches Miteinander beider Konfessionen war. Das hätte eigentlich Grund genug sein müssen, auch Nürnberg in den Lutherweg einzubinden. Der die evangelisch-lutherische Diaspora betreuende Martin-Luther-Bund hat auch nicht ohne Grund seinen Sitz in der auf dem Weg von Coburg nach Nürnberg liegenden Hugenotten-Stadt Erlangen.
Bereits wenige Monate nach dem Start der Reformation in Wittenberg predigte 1518 der erste evangelische Priester in Coburg. 1530 predigte Martin Luther selbst in der Coburger Moritzkirche und verbrachte einige Monate auf der als Fränkische Krone bekannten Veste Coburg, um trotz der Reichsacht möglichst nah am Reichstag in Augsburg zu sein. Der Fränkische Reichsritter Hans Schott von Schottenstein aus Hellingen im Heldburger Unterland, nahe der Fränkischen Leuchte und heute im Landkreis Hildburghausen gelegen, geleitete Martin Luther 1521 nach Worms und war ihm auch später ein wichtiger Vertrauter gewesen. 1528 wurde in der Pflege Coburg (Coburg, Hildburghausen, Sonneberg), welche seit der 2. Hälfte des 14 Jhd. zum Herrschaftsbereich der obersächsischen Wettiner und deshalb ab 1512 zum Obersächsischen Reichskreis gehörte, eine Kirchenvisitation durchgeführt. Diese Bestandsaufnahme nannte sich Visitation im Ortsland zu Franken. Von 1527 bis 1553/1572 bildete die Pflege Coburg im Kurfürstentum Sachsen den Verwaltungsbezirk Fränkischer Kreis. Die Wettiner bezeichneten ihre Besitzungen südlich des Rennsteigs immer als ihre Ortslande zu Franken.
Schmalkalden gehörte nachweislich ebenfalls zum im Jahr 1500 gegründeten Fränkischen Reichskreis. Zur Zeit der Reformation und des Schmalkaldischen Bundes wurde Schmalkalden gemeinsam von den fränkischen Grafen von Henneberg und den Landgrafen von Hessen regiert. Die Henneberger Grafen führten im Gegensatz zu den Hessen erst relativ spät 1543/1544 die Reformation ein. So kam es, dass wenige Jahrzehnte lang in Schmalkalden katholische und evangelische Christen nebeneinander lebten. Sie taten dies, so wird berichtet, sehr friedlich und unkompliziert. Da die Stadt Schmalkalden nicht per Demarkationslinie in zwei Teile aufgeteilt war, sondern als Ganzes gemeinsam regiert wurde, herrschte in der Eisenstadt im äußersten Norden Frankens in diesen Jahren eine sehr frei gelebte Form der Religionsfreiheit. Die Kirchen wurden anfangs gemeinsam genutzt und Bürgerinnen und Bürger hatten die freie Wahl, welchen Gottesdienst sie besuchen wollten.
Welche Bedeutung hatte die Reformation für Franken?
Die Reformation führte in Franken zu einer konfessionellen Spaltung. Insbesondere die weltlichen Hochstifte Würzburg, Bamberg und Eichstätt blieben natürlich katholisch. Die Grafschaft Henneberg, die Markgrafschaften Ansbach und Kulmbach/Bayreuth, einige der Freien Reichsstädte und viele weitere fränkische Territorien schlossen sich jedoch der Reformation an. So kam zur Kleingliedrigkeit Frankens, und hier speziell auch des Fränkischen Reichskreises, die konfessionelle Spaltung hinzu. Wohl gerade wegen dieser vermeintlichen Hürden entwickelte sich der Fränkische Reichskreis jedoch zu einem vergleichsweise sehr gut funktionierendem Verbund, welcher schon einige Aufgaben wahrnahm und ausführte, welche man heute bei den Bundesländern angesiedelt hat. Auch führte dieser Verbund zu einer durchaus nennenswerten gemeinsamen Identifikation mit Franken, auch wenn u.a. im Freistaat Bayern gerne oft das Gegenteil behauptet wird. Diese Vielfalt Frankens führte ebenfalls dazu, dass man in Franken bereits damals sehr offen für Zuwanderung war. Dies zeigte sich vor allem in einem starken Zuzug aus verschiedenen europäischen Regionen, vor allem in der Neuzeit. Hier handelte es sich zumeist um religiös und politisch Verfolgte oder um Handwerker und Künstler. Auch unfreiwillige Migranten, wie die Beutetürken, wurden in die die Gesellschaft integriert. Sie ließen sich mehr oder weniger freiwillig taufen, erlernten Handwerksberufe, heirateten und wurden so zum großen Teil fester Teil der Gesellschaft, einzelne wurden sogar geadelt.
Aber was ist mit dem Menschen Martin Luther, mit seiner Persönlichkeit?
Betrachten wir hier erst einmal das Wesen der Franken. Der Begriff Franken steht schon mal für die Kühnen und für die Mutigen. Den Franken ordnet man eine gewisse vorsichtige Unterkühltheit aber auch eine ausgeprägte Herzlichkeit zu. Diese Gegensätze zeigt auch die geschmacklich sehr vielfältige und sehr intensive Küche. Franken lieben die Geselligkeit im Wirtshaus bei Bier oder Wein, Fränkischer Brotzeit, Schafkopf und Wirtshausmusik. Franken gelten als gemütlich, aber dennoch fleißig, ehrgeizig, klug und erfinderisch. Sie sollen geduldig, genügsam und bescheiden sein. Andererseits sagt man den Franken mit Ihrer vergleichsweise eher dünn besiedelten, sehr ländlich geprägten Heimat nach, sie wären auch untereinander zuweilen mal recht zänkisch und ausgeprägte Anhänger des Kirchturmdenkens. Weiterhin gilt das ehemals reichsunmittelbare Franken als königstreu, womit allerdings natürlich die Deutschen Könige und nicht die erst 1806 zur Königswürde beförderten Wittelsbacher gemeint sind.
Die Biografien zu Martin Luther berichten davon, dass der Haushalt der Luthers in Wittenberg ein sehr offenes Haus war, in dem es mit reichlich musikalischer Untermalung auch sehr gesellig zuging. Man schätzte gutes Essen und Trinken. Martin Luthers höchster Herr und Richter war Gott, als dessen bescheidenen, unterwürfigen und treuen Diener er sich immer sah. Ob diese Eigenschaften in einem Zusammenhang zu Martin Luthers fränkischen Migrationshintergrund gestellt werden können? Es wäre für einen fränkischen Aktivisten doch schon sehr vermessen diese Frage eindeutig zu beantworten. Zumal man die genannten Eigenschaften, zumindest teilweise, sicherlich auch dem jeweiligen Menschenschlag vieler andrer Regionen Deutschlands und Europas zuordnen kann. Dem Leser sei deshalb die Beantwortung dieser Frage selbst überlassen. Bassd scho!